SmartTalk bekommt eine neue Webseite für die Grundkompetenzen - in Einfacher Sprache.
Als Bildungszentrum möchten wir Barrieren abbauen und unsere Angebote für alle zugänglich machen – gerade für Menschen mit geringen Grundkompetenzen. In diesem Interview hat Florian Rieder, Geschäftsführer von SmartTalk mit Anita Schobinger, Beraterin für leichte Sprache, und Christoph Schram gesprochen. Sie diskutieren, warum leichte Sprache für unsere Zielgruppe so wichtig ist, welche Herausforderungen es bei der Gestaltung einer barrierefreien Webseite gibt und welche Erkenntnisse sie aus diesem Projekt gewonnen haben. Ihre persönlichen Erfahrungen und Ansichten machen deutlich, wie wir mit klarer Kommunikation den Zugang zu Bildung erleichtern können.
Florian Rieder: «Anita, du berätst uns als Expertin für leichte Sprache. Warum ist es so entscheidend, dass wir gerade bei Grundkompetenzen auf leichte Sprache setzen? Und Christoph, wie siehst du das aus Marketingperspektive?»
Anita Schobinger: «Leichte Sprache ist wichtig, damit alle verstehen können, ob ein Kursangebot zu ihnen passt. Menschen mit geringen Grundkompetenzen haben häufig Schwierigkeiten mit Lesen, Schreiben oder Rechnen. Das liegt nicht daran, dass sie weniger intelligent sind, sondern oft an schlechten Erfahrungen in der Schule: Überforderung, fehlende Unterstützung oder negative Erlebnisse. Das führt oft zu Ängsten vor Lernsituationen, vor allem der Angst, Fehler zu machen. Mit leichter Sprache versuchen wir, diesen Menschen ein Gefühl von Akzeptanz zu geben. Wir möchten zeigen, dass sie lernen dürfen – ohne Stress, ohne Angst. Grundkompetenzen sind sehr wichtig, damit wir Menschen im Alltag nicht verlieren, beispielsweise bei Themen wie Steuern, Behörden oder anderen wichtigen Informationen. Grundkompetenzen ermöglichen ihnen, souverän Entscheidungen zu treffen und ihr Leben zu gestalten.»
Christoph Schram: «Die Zielgruppe der Grundkompetenzen ist unglaublich vielfältig und oft schwer zu erreichen. Für mich war der Bericht von Interface, aber auch der Austausch mit Anita, ein echter Augenöffner. Ich habe erkannt, wie wichtig es ist, dass wir verständlich aufzeigen, dass es unser Angebot gibt, dass es kostenlos ist und dass alle Menschen willkommen sind – egal, welchen ‹Rucksack› sie mit sich herumtragen. Leichte Sprache ist ein Schlüssel dazu: Sie baut Barrieren ab und senkt die Hemmschwelle, sich das Angebot mal anzuschauen.»
FR: «Ihr habt erwähnt, dass euch das Thema auch persönlich interessiert, da ihr selbst negative Erfahrungen in der Schule gemacht habt?»
AS: «Ja, ich war in der Schule sehr ehrgeizig, hatte aber trotzdem oft das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Ich hatte grossen Stress, weil ich nicht schnell genug schreiben konnte, und musste mir viele dumme Bemerkungen von Lehrern anhören. Das hat mich oft zum Weinen gebracht. Mit 18 wurde bei mir schliesslich Legasthenie diagnostiziert – viel zu spät. Diese späte Diagnose hat mein Selbstvertrauen lange beeinträchtigt. Ich hatte Angst, dass mein Berufsleben darunter leidet. Erst später habe ich erkannt, dass jeder Mensch etwas gut kann. Heute setze ich mich für leichte Sprache ein, damit niemand solche Erfahrungen machen muss. Die Webseiten, an denen ich arbeite, sollen wirklich die Menschen erreichen, die sie brauchen.»
CS: «Auch ich hatte meine Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Diktate sind meine schlimmste Erinnerung: Das Gefühl, ein komplett rotes Blatt zurückzubekommen, hat mich stark geprägt. Zum Glück wurde ich gut gefördert, und ich hatte auch das Glück, in einer Zeit zu leben, wo die Technik schon einiges ausgleichen konnte. Trotzdem kann ich die Scham, die um das Thema existiert, gut nachempfinden. Deshalb ist mir das Thema wichtig.»
FR: «Was sind die grössten Hürden für Menschen mit geringen Grundkompetenzen, wenn sie eine Webseite nutzen? Und wie habt ihr diese Anforderungen bei der Gestaltung berücksichtigt??»
AS: «Eine der grössten Hürden ist, dass viele Webseiten keine Vorlesefunktion haben. Ausserdem sind die wichtigen Informationen oft schwer zu finden – man wird von Texten und komplizierten Designs regelrecht erschlagen. Die Sprache ist häufig schwierig, voller Fremdwörter oder unnötiger Füllwörter. Selbst die Schriftarten können ein Problem sein. Unsere Webseite muss daher schlank und direkt sein. Keine Füllwörter, keine Verneinungen, die man leicht überliest. Klare Strukturen, einfache Worte, klare Botschaften.»
CS: «Wir achten auf ein schlichtes, klares Design und verwenden bewusst weniger Text. Unnötige Schnörkel oder komplizierte Grafiken vermeiden wir. Unsere neue Webseite wird deutlich weniger Informationen enthalten als die Aktuelle. Ziel ist, die Menschen erstmal in die Kurse zu bringen. Alle weiteren Details können später geklärt werden. Weniger ist hier mehr.»
FR: «Kannst du ein Beispiel geben, wie einfache Formulierungen das Verständnis erleichtern? Und wie hilft die Struktur der Webseite zusätzlich?»
AS: «Ein gutes Beispiel ist das Wort ‹Grundkompetenzen› selbst. Was bedeutet das eigentlich? Es ist ein Behördenwort, das kaum jemand versteht. Für die Zielgruppe klingt es abstrakt und abschreckend. Sie klicken nicht darauf, weil sie nicht wissen, dass das Angebot für sie gedacht ist. Auf der neuen Webseite verzichten wir auf diesen Begriff. Wir erklären stattdessen konkret, worum es geht: Lesen, Schreiben, Rechnen und Computerkurse. Wir sprechen direkt die Bedürfnisse der Menschen an und arbeiten auch mit Bildern, Grafiken und Videos, um Inhalte verständlicher zu machen.»
CS: «Die Struktur der Webseite spielt eine zentrale Rolle. Wir vermeiden unnötige Inhalte, sodass sich niemand auf der Seite ‹verläuft›. Man bekommt einen kurzen Überblick, eine einfache Kursbeschreibung und kann sich direkt anmelden oder Kontakt aufnehmen. Die Navigation ist so gestaltet, dass sie sofort zum Ziel führt.»
FR: «Gab es überraschende Erkenntnisse, die ihr aus diesem Projekt mitgenommen habt?»
AS: «Ich habe gelernt, dass selbst reduzierte und vereinfachte Texte oft noch zu komplex sind. Es ist unglaublich anspruchsvoll, Informationen so aufzubereiten, dass sie wirklich für alle verständlich sind. Aber es lohnt sich, weil ich sehe, dass wir damit etwas bewegen können.»
CS: «Für mich war die wichtigste Erkenntnis, dass wir die Zielgruppe ernst nehmen und respektieren müssen, auch wenn wir die Inhalte stark vereinfachen. Die Perspektive von Betroffenen hilft dabei enorm. Es war eine wertvolle Erfahrung, dass wir immer wieder versucht haben, die Betroffenenperspektive einzunehmen.»
FR: «Was erhofft ihr euch von der neuen Webseite?»
AS «Ich hoffe, dass die Menschen ihre Ängste überwinden und dieses kostenlose Angebot nutzen. Ich hoffe, dass es vielen Menschen helfen wird, sich im Alltag zurechtzufinden. Ganz wichtig ist mir auch: Sie sollen merken, dass sie nicht allein sind. Es gibt viele, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und man kann gemeinsam wieder Freude am Lernen entwickeln.»
CS: «Ich hoffe, dass dieses Projekt eine Inspiration für viele weitere Ideen ist. Als Bildungszentrum produzieren wir andauernd sehr viel Text – auf Flyern, Webseiten, aber auch bei Kursmaterialien. Vielleicht können wir das Bewusstsein fördern, ein bisschen simpler in unseren Formulierungen zu werden.»
FR: «Wann können wir mit der neuen Webseite rechnen?»
CS: «Unser Ziel ist es noch vor Weihnachten online zu gehen. Wir freuen uns auf Feedback von euch oder Ideen, wie wir unsere Webseite noch besser und einfacher gestalten können.»
FR: «Ich danke euch für das Gespräch und für eure Arbeit»
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